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Mama, erzähle mir, wie die Welt ohne mich aussah … wenn Muttertag weh tut

  • 7. Mai 2021
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 1. Mai

Muttertag ist eine Feier, die viele von uns mit gemischten Gefühlen erleben. Auch ich gehöre zu diesen Menschen.


Dankbarkeit und die unfreie Wahl


Der Muttertag ist das Fest der Dankbarkeit für das geschenkte Leben und die Zuwendung, Fürsorge und Liebe unserer Mütter. Mutterliebe ist ein ursprünglich von der Natur angedachtes Verhalten, das in uns Menschen verankert ist.


Eigentlich. Was aber, wenn außer dem geschenkten Leben nichts weiter war?

Ich muss immer auch an diejenigen denken, die unsere Mütter nicht einmal kennen, weil sie entweder so früh verstorben war oder sie irgendwann „gegangen“ ist. An die vielen Kinder, die ihr Leben mit Gewalt und ständiger Angst bestreiten mussten.

Entwicklungstrauma und Muttertag
Bindungstrauma und Verlassenheitsängste entstehen in unserer Kindheit und verursachen oft kPTBS

Können Menschen dankbar sein, denen so viel Leid zugefügt wurde?

Kann die Beziehung noch friedvoll gestaltet und der Muttertag gefeiert werden?


Ich behaupte, ja.


Meine Mutter


Mütter können sowohl eine emotionale Hauptperson als auch eine tiefst schmerzhafte Leerstelle, bestehend aus Sehnsucht, Wut und Verlust, sein.

Nach der Scheidung meiner Eltern hatte meine Mutter meine Schwester und mich allein großgezogen. Es ist richtig, dass auch sie keine andere Wahl hatte. Wenn in Paarbeziehungen die gemeinsamen Werte und Ziele verschwinden, löst sich die Gemeinschaft auf.


Ganeshashala Gabriella Rist als Kind
Gabriella Rist

Meine Mutter war mit der Situation grenzenlos überfordert, und der unverarbeitete Schmerz hat bei ihr pure Verzweiflung ausgelöst. Ich erinnere mich, wie sie abends immer geweint hat.

Dann kam Bitterkeit und schließlich der Terror über uns Kinder als Ersatz für die Vergeltung meines Vaters.

Ich bin mir bewusst, dass es vielen Kindern ähnlich ergangen ist und dies nicht mein alleiniges Schicksal ist. „Sowas“ war und ist bis heute oft ein Tabuthema, und es gab sehr lange keine Hilfestellen oder Lösungen.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt die Zahl der betroffenen Mädchen und Jungen auf etwa 18 Millionen, die als Kind und Jugendliche von Eltern misshandelt werden.

Laut einer Studie des Universitätsklinikums Ulm (2017) entspricht die Zahl etwa jedem siebten Deutschen.


Ich ging, sobald ich volljährig war. Mit vielen tiefen Narben und schlimmen Erinnerungen.

Trotzdem kann ich heute deutlich erkennen und verstehen, wie sich die Liebe und Zuwendung meiner Mutter in eine Erwachsene verwandeln konnte.


Als Kind dachte man aber nur ans Überleben.


Kinder der Ohnmacht


Ungewollt auf die Welt zu kommen oder als Last die Kindheit zu verbringen, ist ein vorübergehender Lebensweg vorprogrammiert.

Die negativen Gefühle der Mutter, die auf das Kind projiziert werden, sind für beide Seiten schrecklich und schädlich. Die Mutter ist in ihrer eigenen Haut gefangen und das Kind ist machtlos.


Emotionale und verbale Schuldzuweisungen an das Kind, dass es nicht in der Lage sei, die eigenen Träume der Mutter zu verwirklichen, weil die Paarbeziehung zerstört war, sind Symptome von Ärger, Frust, Einsamkeit, Trauer und Schuld. 

Die verletzte Mutter möchte selbstbestimmt sein, mit einem geliebten Menschen verbunden sein und aufrichtig wertgeschätzt werden.

Verstanden werden.

Sicherheit haben.


Dies kann nicht von einem Kind, sondern nur von einem anderen Erwachsenen oder gar viel mehr von uns selbst erfüllt werden.

Die Symptome der Mutter hinterlassen aufgrund der narrativen und physischen Gewalt tiefe Narben. Vernachlässigung führt zu einem Gefühl der Wertlosigkeit als Mensch und liebenswerter Wesen.

Viele dieser Mädchen und Jungen nutzen als Selbstregulation Gewalt gegen sich selbst und leiden unter Borderline, Essstörungen oder Wutausbrüchen. 


Emotionale Vernachlässigung und kPTBS
Emotionale Verwahrlosung durch überforderte Mütter

Im äußersten Fall kehren sie die Schuldzuweisung um und werden schließlich selbst zu Tätern, die ihren Eltern oder anderen Leid und Gewalt zufügen.


Diese Mütter und Kinder benötigen dringend Hilfe und Liebe, um Tragödien und traurige Lebensgeschichten zu verhindern.




Ein Anker im Hafen – moderne Identitätskrise


Prof. Dr. Gerald Hüther, ein renommierter Neurobiologe und Hirnforscher, weist darauf hin, dass in der heutigen Zeit Situationen entstehen, für die keine allgemeingültigen Antworten gefunden wurden und daher erst die neuen Normen entwickelt werden müssen.

Die Rolle des Mutterseins hat sich parallel zur Emanzipation und Entstehung unserer Wohlstandsgesellschaft weiterentwickelt. Wie man als Mutter das Leben gestaltet, ist nicht mehr festgeschrieben.

Wir haben die freie Wahl, ob wir Kinder bekommen möchten oder ob wir kinderlos sind.


Es ist uns möglich, studieren und Mutter zu sein, was vor 1895 unmöglich war. Erst seit etwa 225 Jahren konnten Frauen an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg ihr Studium aufnehmen. All dies eröffnet uns die Möglichkeit, uns nach Belieben der Selbstverwirklichung zu verschreiben, um unseren Hunger nach Wissen, Kreativität, Selbstständigkeit und Selbstgestaltung zu stillen.

Und das ist großartig!


Wir vermissen lediglich die neuen Richtlinien für die Gestaltung und Gestaltung einer modernen Mutterrolle:

„Ist mein Studium oder meine Arbeit wichtiger oder sollte ich lieber für die Kinder da sein?“

„Mein Chef, mein Mann oder meine Freundin?“

„Und wo bin ich?“ … und … und … und …



Bei diesen Sätzen ertappe ich mich, dass ich an meine eigene Mutter denke und mich frage, ob auch sie ohne Partner die gleichen Fragen stellen musste. Gewiss schon.


Eine herkömmliche Priorisierung wird uns in eine tiefe Krise stürzen und wir müssen stattdessen gänzlich neue Fertigkeiten entwickeln, die nicht mehr auf „entweder / oder“, sondern auf „sowohl, als auch“ gerichtet sind.

Wir müssen neue Modelle finden, die Müttern die Kraft und die Möglichkeit geben, nicht unterzugehen und dies auch den Kindern als Bereicherung erfahren zu dürfen und nicht als Leid.


Versöhnung – der neue Anker von heute?


Ich bin mir heute sicher, dass unsere Lebenswege durch die Unterstützung der Gesellschaft und der Familie verändert worden wären.


Tabuisierung macht die Seele krank.

Das Verurteilen von Lebensereignissen und Lebensentscheidungen, das Zusprechen der Opferrolle als „Verlassene“, oder die Wahl, keine Kinder haben zu wollen oder neben Kindern auch eine berufliche Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung zu wünschen, sind nicht von Liebe und Wohlwollen geprägt.

Dies ist eine Gesellschaft, die krank macht, ohne sich dessen bewusst zu sein, was Mütter und Kinder angetan werden.

Ein neuer Anker in modernen Zeiten könnte die Versöhnung mit den Erinnerungen und das Eingehen auf das, was uns ausmacht und was richtig ist, sein. 

Sowohl als Mutter als auch als Kind.


Mütter, die nicht mehr die Wahl haben, ihr Leben neu zu leben, haben immer noch die Wahl der Erkenntnis und des Versuchs, einen neuartigen Zugang zu ihren Kindern wieder mit Liebe zu gestalten.

Die werdenden Mütter oder die kinderlosen Frauen von heute haben die einmalige Macht der Freiheit und Selbstgestaltung, wie sie sich genau um ihre Muttergefühle kümmern und diese zum Wohl anderer einsetzen möchten.

Versöhnung und Dankbarkeit für das Schöne der Vergangenheit - denn auch dieses gab es - sind für uns verlässliche Anker und können immer und immer wieder ins Wasser geworfen werden.

Egal, ob wir gerade auf hoher See im Sturm oder im Hafen im Sonnenschein sind, wir sind nicht allein!


Mama, wie war es nochmal?


Eine Einladung an Sie: Versuchen Sie, bevor Sie aufstehen, noch liegend im Bett, sich zunächst etwas Zeit zu nehmen.

Dann möchten Sie vielleicht an eine schöne Situation mit Ihrer Mutter denken. Wobei Sie sich verbunden mit ihr und von Ihr geliebt gefühlt haben. Vielleicht ging es um ein Spiel oder hat sie Sie damals getröstet?

Jetzt verankern Sie dieses Gefühl in sich, wenn Sie möchten, sehr tief. Versuchen Sie es zu spüren, wenn es sich für Sie stimmig anfühlt, in Ihrem Herzen.


Das ist es, wofür Sie an diesem Tag und in der Zukunft dankbar sein können. Bewahren Sie diese Erinnerung für immer!

Weil Dankbarkeit uns das anhaltende Glück schenkt und wir uns von unseren schmerzlichen Erinnerungen lösen können.

Die Gründer der Positiven Psychologie, wie Martin Seligman, empfehlen nicht nur, das Gute im Vordergrund zu behalten und Zufriedenheit zu kultivieren.

Die Yoga Sutras nennen Zufriedenheit als Quelle lang anhaltenden Glücks saṁtoṣā (संतोष). Diese kann Dich vom Leid befreien und den inneren Frieden, shanti (शान्ति), schenken.


Y.S. 2.42 saṁtoṣāt-anuttamas-sukhalābhaḥ II संतोषातनुत्तमस्सुखलाभः Weitere sogenannte Herzens-Qualitäten in uns können unterstützen, unser autobiografisches Gedächtnis in neues Licht zu stellen.

Die Welt durch die Brille von Mitgefühl (karuṇā), Barmherzigkeit und Dankbarkeit (maitrī), Mitfreude (muditā) und Nachsicht (upekṣā) zu betrachten, verwandelt mit der Zeit Deine Wahrnehmung und das Verhalten zu unseren Mitmenschen und sich selbst.


Y.S. 1.33 maitrī-karuṇā-muditopekṣāṇāṁ sukha-duḥkha-puṇyāpuṇya-viṣayāṇāṁ bhāvanātaś citta-prasādanam॥ मैत्रीकरुणामुदितोपेक्षाणां सुखदुःखपुण्यापुण्यविषयाणां भावनातश्चित्तप्रसादनम् ॥३३॥

Ein Experiment des National Institutes of Health (NIH) hat dies bestätigt. Dankbarkeit verleiht uns nicht nur Glückshormone wie Dopamin, sondern verändert auch unser Gehirn. Menschen, die von klein auf viele Schwierigkeiten hatten und ständig neue Herausforderungen bewältigen mussten, können Dankbarkeit sehr tief empfinden.


Versöhnung mit der Mutter kann uns befreien
Versöhnung mit unserer Mutter kann sehr befreiend sein

Deshalb tut es uns so gut, schöne Erinnerungen aufleben zu lassen und diese zu bewahren.

Vielleicht gelingt es Ihnen, in diesem Jahr mit Mitgefühl und Nachsicht an Ihre Mutter zu erinnern.

Falls es Ihnen guttut und Sie weiterhin die Möglichkeit haben, sie zu besuchen oder anzurufen, dann machen Sie es.


Für das, was mit ihr schön war.



 
 
 

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